Deutsche Schach-Online-Liga

Gestern war Meldeschluss für einen Versuch, die Corona-Auszeit mit Leben zu füllen. 176 Schachvereine haben 246 Mannschaften gemeldet, der Hamburger SK allein zehn. Vier Spieler gehören zu einer Mannschaft, sodass davon auszugehen ist, dass inklusive Ersatzspieler bis zu 2.000 Schachfreundinnen und Schachfreunde zum Einsatz kommen werden. Es ist ein Experiment mit unbekanntem Ausgang. Die Cheating-Versuchung ist bei einer Bedenkzeit von 45 Minuten plus 15 Sekunden pro Zug natürlich groß.

Grundsätzlich stehe ich dem Online-Schach skeptisch gegenüber. Es kann nur ein Lückenfüller und Zeitvertreib sein. Wettkämpfe um echte Meisterschaften kann es nicht ersetzen und das Spiel von Angesicht zu Angesicht schon gar nicht. Wenn das in absehbarer Zeit nicht mehr möglich ist, verliert das Schachspiel sein Ansehen in der Gesellschaft und damit viele organisierte Anhänger. Nichtsdestotrotz begrüße ich die Online-Liga, obwohl ich sie aus sportlicher Sicht für wertlos halte. Wenn man sich die Meldungen genauer ansieht, fällt auf, dass das Interesse von Titelträgern gering ist. Und so ist die Veranstaltung überwiegend für den Nachwuchs von Bedeutung. Die 1. Runde wird in der kommenden Woche ausgetragen. Wir dürfen besonders auf die Nebenwirkungen gespannt sein.

In Niedersachsen ist das Interesse der Schachvereine an der Online-Liga überschaubar. Damit wir deren Abschneiden besser verfolgen können, habe ich die gemeldeten, niedersächsischen Mannschaften herausgefiltert und den Bezirken zugeordnet. Die Zahl vor dem Vereinsnamen ist die derzeitige Rangliste anhand der DWZ. Der Hamelner SV hat für die 1. Mannschaft (18. Platz) offenbar seine Besten gemeldet. Der HSK Lister Turm fehlt trotz Beteiligung an der Quarantäne-Liga indessen komplett.

Schachbezirk 1 (5 Vereine/7 Mannschaften)
025. SK Rinteln I   DWZ 2128 = 1. Liga Gruppe A
162. SK Rinteln II   DWZ 1713 = 6. Liga Gruppe B
223. SK Rinteln III   DWZ 1326 = 8. Liga Gruppe C
060. SK Lehrte von 1919  DWZ 2004 = 2. Liga Gruppe D
066. SG Weiß-Blau Eilenriede   DWZ 1989 = 3. Liga Gruppe B
089. SF Barsinghausen   DWZ 1930 = 3. Liga Gruppe A
147. TuS Wunstorf   DWZ 1755 = 5. Liga Gruppe C

Schachbezirk 2 (2 Vereine/2 Mannschaften)
095. SC Braunschweig Gliesmarode   DWZ 1903 = 3. Liga Gruppe A
165. SF Fallersleben   DWZ 1707 = 6. Liga Gruppe D

Schachbezirk 3 (3 Vereine/5 Mannschaften)
018. Hamelner SV I   DWZ 2170 = 1. Liga Gruppe B
135. Hamelner SV II   DWZ 1786 = 5. Liga Gruppe B
051. ESV Rot-Weiß Göttingen I   DWZ 2030 = 2. Liga Gruppe C
155. ESV Rot-Weiß Göttingen II   DWZ 1735 = 5. Liga Gruppe C
151. SC Bad Salzdetfurth   DWZ 1750 = 5. Liga Gruppe B

Schachbezirk 4 (2 Vereine/2 Mannschaften)
141. SK Verden  DWZ 1766 = 5. Liga Gruppe D
209. FC Lachendorf   DWZ 1525 = 7. Liga Gruppe D

Schachbezirk 5 (1 Verein/1 Mannschaft)
105. VfR Heisfelde   DWZ 1869 = 4. Liga Gruppe A

Schachbezirk 6 (4 Vereine/5 Mannschaften)
027. SV Osnabrück   DWZ 2123 = 1. Liga Gruppe C
102. SV Lingen   DWZ 1873 = 4. Liga Gruppe B
148. SV Bad Essen I   DWZ 1754 = 5. Liga Gruppe D
232. SV Bad Essen II   DWZ 1232 = 8. Liga Gruppe C
224. SC Rochade Hollage   DWZ 1320 = 8. Liga Gruppe B

Hannoverscher SK gegen Spartacus Budapest

15. bis 18. Juni 1970. Im Hannoverschen Schachklub existiert ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl, das weit über die vielzitierte Thekenromantik hinausgeht. Diese Worte stammen von Kurt Pfaff, dem Kolumnisten des HSK aus der Zeit des Kalten Krieges. Vor genau 50 Jahren gab es in Hannover einen Freundschaftskampf gegen Spartacus Budapest, der heute in dieser Form undenkbar wäre: Eine Anreise, die 21 Stunden dauerte, Empfang durch Bürgermeister Otto Barche, eine Barkassenfahrt auf dem Maschsee, ein Bowlingabend in Döhren, Besichtigung des VW-Werks in Stöcken, ein Stadtbummel in Hannover, ein Besuch des Historischen Museums, ein Altstadt-Bummel und ein Abschiedsessen in den Herrenhäuser Brauereigaststätten. Zwischendurch wurden zwei Mannschaftskämpfe ausgetragen. Den ersten gewannen die Budapester mit 8 : 3 Punkten, der zweite endete Unentschieden mit 5,5 : 5,5 Punkten. Gespielt wurde im Hotel Interconti; damals eine Nobelherberge, heute ein leerstehendes Spekulationsobjekt von Immobilienhaien.

Kurt Pfaff hatte die Ereignisse auf zwei Seiten eines HSK-Rundschreibens zusammengefasst. Die solltet ihr euch im Anschluss in Ruhe durchlesen. Es lohnt sich. Nach 50 Jahren stellt sich die Frage, wer von den damaligen Akteuren noch lebt. Auf Seiten des HSK sind dies Manfred Heilemann (mittlerweile 86 Jahre alt) und Jürgen Juhnke (mittlerweile 70 Jahre alt). Manfred Heilemann war damals auf dem Zenit seines Könnens. Kurz zuvor (1. bis 16. Mai 1970) hatte er bei der Deutschen Einzelmeisterschaft in Völklingen (es gewann GM Hans-Joachim Hecht) den 10. Platz belegt. Am 1. Brett konnte Manfred den Ungarn István Csom in der 2. Runde besiegen. In der ersten Partie hatte es ein Remis gegeben.

1970 war István Csom Internationaler Meister, 1973 wurde er Großmeister. 1976 weilte er wiederum in Hannover und konnte das Turnier gewinnen, das der HSK anlässlich seines 100-jährigen Bestehens veranstaltet hatte. Dabei konnte er den Spieß umdrehen und Manfred Heilemann in 26 Zügen  besiegen. Von István Csom befinden sich 2.625 Partien im Netz. Das zeugt von einem erfüllten Schachleben. Am 2. Juni wurde er 80 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!

Petitesse am Rande: Manfred Heilemann spielte damals für den HSK und befindet sich heute in den Reihen der Schachfreunde Hannover. Jürgen Juhnke gehörte damals der Schachvereinigung (heute Teil der Schachfreunde) an und wechselte 1981 zum HSK, für den er noch heute aktiv ist. Jürgen verstärkte damals den HSK als Gastspieler. Jürgen spielte eine bärenstarke Saison. Bei der 17. Studenten-Mannschaftsweltmeisterschaft in Haifa holte er für die Deutsche Mannschaft (Brett 1 Helmut Pfleger) 8 Punkte aus 9 Partien!

Was ist aus der Thekenromantik des HSK geworden? Die heutigen Jungspunde stellen viel auf die Beine. Das ist lobenswert. Aber gibt es noch jemand, der sich um die Geschichte des eigenen Vereins kümmert? Auf dessen Webseite sucht man danach vergeblich. In 6 Jahren wird der HSK 150 Jahre alt. Wer weiß, was ein Winzling namens Corona bis dahin mit dem HSK Lister Turm im Besonderen und der Schachszene im Allgemeinen macht!? Die Erinnerungen kann uns keiner nehmen.

Würzburg – 24 Jahre danach

Wisst ihr noch, was ihr 1996 gemacht habt? Schon vergessen? Mir fällt die Erinnerung leicht, weil ich den Sonnenkönig aufbewahrt habe. In der Ausgabe Nr. 13 steht: Gerhard hat an drei Schach-Open teilgenommen, in Velden am Wörthersee, in Wiesbaden beim Schlosspark-Open und in Würzburg beim 12. Open. – In den vergangenen Wochen waren Reisen tabu. Meine letzte Fahrt mit dem ICE hatte ich am Rosenmontag in die Narrenhochburg Mainz. Wenige Tage später kam der Shutdown. Die Deutsche Bahn sucht seitdem händeringend nach Fahrgästen. „Ein Ticket in die Vergangenheit kann für Abhilfe sorgen“, dachte ich mir und kaufte mir für gestern (Fronleichnam) eine Rückfahrtkarte nach Würzburg mit einem Abstecher nach Schweinfurt.

„Wieso Schweinfurt?“, werdet ihr fragen. Schweinfurt liegt rund 40 km nordöstlich von Würzburg und fristet in unserer Wahrnehmung ein Mauerblümchen-Dasein. Dieses Image passt gar nicht zu Gunter Sachs, Deutschlands berühmtesten Gentleman-Playboy, der in Schweinfurt geboren wurde und hier seine Kohle generiert hat (Fichtel & Sachs). Heute scheffelt dort Frau Schaeffler mittels Wälzlager (SKF). – In Schweinfurt konnte ich 1996 meinen Beruf mit meinem Hobby verbinden. Das einzige Mal in meinem Leben hatte ich eine Baustelle in Bayern – genauer gesagt in Unterfranken – zu leiten. Und so bot es sich an, dass ich in der Endphase des Projekts in Würzburg an dem Schach-Open teilnahm und täglich nach Schweinfurt pendelte, um dort nach dem Rechten zu sehen. Das Würzburger Open lief gut, die Schweinfurter Baustelle dank ortsansässiger Unternehmen ausgezeichnet.

1996 hatte ich weder in Würzburg noch in Schweinfurt die Gelegenheit, mir die Städte genauer anzugucken. Das habe ich gestern nachgeholt. Heraus kamen 6 Stunden Fußmarsch bei bedecktem Himmel. Schweinfurts Altstadt ist überschaubar. Nichtsdestotrotz gibt es dort sehenswerte Eyecatcher; z.B. diese Skulptur vor der Kunsthalle. „Power-Mädchen ohne Schachbrett“ würde ich sie nennen.

Würzburg hat doppelt so viele Einwohner wie Schweinfurt, eine Menge Studenten und eine Festung, die ich bislang nur vom Vorbeifahren kannte. Gestern bin ich hinaufgestiefelt. Es lohnt sich. Für den Aufstieg empfehle ich euch die Rückseite des Marienberges. Dort fand 1990 die Landesgartenschau statt. Geblieben ist eine wunderschöne, gepflegte Anlage, die bei einigen Höhenmetern kostenlos durchschlendert werden darf. Die Marienfestung selbst ist beeindruckend. Es gibt einen äußeren Burghof und einen inneren Burghof, die von mächtigen Wänden aus Quadersteinen umfasst sind. Für den Rückweg empfehle ich euch den steilen Abstieg auf der Mainseite. Man landet direkt vor der historischen Mainbrücke, die gestern für Stehpartys genutzt wurde.

Am 12. Würzburg-Open 1996 nahmen 117 Schachspieler teil. Das Turnier gewann Aleksander Wojtkiewicz (* 15. Januar 1963 in Lettland; † 14. Juli 2006 in USA) vor Zbigniew Ksieski (* 1. Januar 1954 in Polen; † 26. Mai 2018 in Polen) mit je 6:1 Punkten. Ich holte 4:3 Punkte, wobei ich zwei Partien verlor: gegen GM Valentin Arbakov (* 28. Januar 1952 in Russland; † 30. November 2003) und Andreas Luft. Gegen den Dähne-Pokalsieger von 1977, Peter Dankert (* 1953; † 2004), erzielte ich ein Remis. Höhepunkt war mein Sieg gegen den FM Andre Lisanti. Die Partie begann für mich ernüchternd. Durch eine Ungenauigkeit in der Eröffnung hatte ich einen Bauern verloren, was mich dazu beflügelte, einen weiteren Bauern ins Geschäft zu stecken. Dieses Danaergeschenk bekam meinem Gegner nicht. Er revanchierte sich durch ungenaue Züge, wodurch wir diese Stellung auf dem Brett hatten:

FM Andre Lisanti – Gerhard Streich
Schwarz am Zug

Angesichts des Damengewinns zog ich freudig erregt 28… Txb2+ und gewann die Partie problemlos. Erst 24 Jahre später habe ich entdeckt, dass ich meinen Gegner an dieser Stelle zwangsläufig mattsetzen konnte. Guckt euch dieses Diagramm bitte eine Weile an und entscheidet euch für einen anderen Zug. Weiß kann das Matt maximal 6 Züge hinauszögern.

Hier ist die ganze Partie:

Sehenswert ist auch mein Sieg in der ersten Runde gegen Erich Kaiser. Ein Figurenopfer im 20. Zug brachte mich auf die Siegerstraße: