Bremen – Oberneuland

Das Spiellokal im Gewerbegebiet Oberneuland

„Lage, Lage, Lage“, ist eine alte Immobilienweisheit. Bei Wettkämpfen in der Schachbundesliga müssen wir ein Auge zudrücken. Da meine Suite in Doha durch einen Fußballfunktionär belegt ist, musste ich umdisponieren (kleiner Scherz). Schachbundesliga statt Fußball-WM. Ohne sorgfältige Vorbereitung hätte ich heute den Austragungsort nie gefunden, denn der befindet sich im Niemandsland hinter der Autobahn. Der Weg mit der Regionalbahn zum Bremer Hauptbahnhof war noch easy, danach wurde es tricky: Busfahrt bis zur Endstation Neue-Vahr-Nord. Danach 20 Minuten Fußmarsch über verschlungene Wege unter der Autobahn A27 hindurch bis in ein Gewerbegebiet, das im Entstehen begriffen ist. Nichts für schwache Nerven, vor allem wenn’s dunkel ist.

Es ist so, wie es ist, und soll keine Kritik am Veranstalter Werder Bremen sein. Das Spiellokal selbst ist für den Zweck ausgezeichnet und dankenswerter Weise von der Geschäftsführung der Reederei Harren & Partner zur Verfügung gestellt worden, allein es manövriert unsere Sportart noch mehr ins Abseits. Immerhin ist mit der OSG Baden-Baden der Seriensieger mit dem deutschen Ausnahmetalent Vincent Keymer angereist. In der ersten Stunde war ich womöglich der einzige zahlende (spendende) Zuschauer.

Nichtsdestotrotz war die Stimmung gut. Das unzertrennliche Duo Dr. Oliver Höpfner & Michael S. Langer durfte natürlich nicht fehlen. Für Werder Bremen zeichnet sich sportlich ein Desaster ab. Am Freitag gab es eine unerwartete Klatsche gegen den Aufsteiger aus der Nachbarschaft, dem SK Kirchweye. Heute war die OSG Baden-Baden wie erwartet eine Nummer zu groß. Morgen könnte gegen das Schlusslicht aus Schönaich indes die Wende gelingen. Die Ergebnisse der 3. Runde sind wie gewohnt auf der DSB-Seite zu finden.

Das Kontrastprogramm gab’s in der Bremer Innenstadt. Ich habe gar nicht gewusst, dass Bremen so viele Menschen beherbergt. Offenbar waren die alle auf den Bremer Weihnachtsmärkten unterwegs. Meine Absicht, vor der Abreise noch einen Glühwein zu trinken, habe ich aufgegeben. Bei den Warteschlangen hätte ich den Nachtzug nehmen müssen:

 

Mach ihn!

Unsere Brüder und Schwestern vom SK Ricklingen sind stolz darauf, dass ein Kicker aus ihrem Stadtteil an der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar teilnimmt: Niclas Füllkrug. Laut HAZ stammt er aus einer „schrecklich netten Familie“. Das macht ihn sympathisch. Stell dir vor, er schießt Tore für Deutschland, und keiner guckt hin! Das Thema ist heikel. Ein Hingucker sind auf jeden Fall Schachaufgaben. Am 13. Juli 2014 habe ich euch diese gestellt:

Schwarz-Weißes Loch vor dem Urknall

Durch die extrem hohe Gravitation ist auf dem Schachbrett ein Schwarz-Weißes Loch in Form eines Fußballs entstanden. Ihr dürft die Luft rauslassen. Als Bedenkzeit hatte ich vier Jahre ausgelobt. Uwe benötigte nur eine halbe Stunde. Wisst ihr noch, was danach geschah? Die 113. Minute im Endspiel Deutschland – Argentinien bleibt unvergessen: „Mach ihn! Mach ihn! Er macht ihn! Mario Götze!“, machte Tom Bartels den Herbert Zimmermann anno 1954.

Acht Jahre später wird erstmal in den Keller geguckt, bevor ein Tor zählt. Gestern gab es den Fall bereits in der 3. Minute nach einem sehenswerten Tor von Enner Valencia für Ecuador. Der Videoassistent schaltete sich nach einer Weile ein, weil er mit seiner Supertechnik eine Fußspitze der Ecuadorianer im Abseits gesehen hatte. Welch ein Schwachsinn! Kalibrierte Linien im Abstand von hundertstel Sekunden entscheiden über den Ausgang von Wettkämpfen, die ihren Ursprung auf Bolzplätzen haben.

Für die Lösung meiner immergrünen Schachaufgabe benötigt ihr keine technischen Hilfsmittel. Eure Grauen Zellen sollten dafür ausreichen.

Echt fies

Wusstet ihr, dass Cheating schon vor 16 Jahren ein Thema war? Im Archiv des Schachvereins Weidenau/Geiswald habe ich einen verblüffenden Hinweis gefunden. Der Verein gehört zum Schachbezirk Siegerland und ist die Heimat von Heinz-Roland Send, dem Vorreiter des 1970-Olympiade-Rückblicks in Siegen. Im Jahr 2006 hat der Verein auf seiner Website die Kategorie Comics ins Leben gerufen und nach drei Beiträgen wieder eingestellt. Der erste Comic stammt vom Schachfreund Simon Mohr. Folgendes Diagramm sorgt für Aufregung:

Ist die Stellung legal? Der Bauer e7 ruft empört: „Cheater!“ Hat er recht? Nein! Mr. Inkognito klärt auf. „Ich finde den schwarzen Bauern echt fies, dem Weißen ist kein Vorwurf zu machen… (d3-sf6-d4-sg8-d5)“, lautet sein Kommentar. Seht ihr: Voreilige Anschuldigungen können echt fies sein. Wobei Mr. Inkognito nur die halbe Wahrheit ans Licht bringt. Es sind noch viel mehr Varianten möglich. Bis zu 200! Mehr Züge scheitern an der FIDE-Regel 9.3.2. Die Probe aufs Exempel: 50. d3 …, 100. d4 …, 150. d5 … und mit seinem 200. Zug muss Schwarz einen beliebigen Bauern ziehen, und die Partie kann weitergehen. Dazwischen können die Springer beiderlei Lager hin- und herspringen und lediglich darauf achten, dass sie nicht dreimal gemeinsam das Gleiche machen. – Hat eigentlich schon jemand ausgerechnet, wie viele Züge bei einer Schachpartie theoretisch möglich sind, bevor die FIDE-Regel 9.3.2 greift?

Die folgende Stellung ist auch legal. Nach spätestens 50 Zügen ist allerdings Schluss mit dem Springer-Hopping. „Wegen Regel“, würde Vlastimil Hort sagen.

Holt die Springer in den eigenen Stall zurück. Draußen ist es lausig kalt. Schönes Wochenende!

 

Wolfgang Petri, Lugano und das Momentum

Wolfgang Petri

Bei meinem Ausflug nach Siegen bin ich Wolfgang Petri begegnet. Es sollte sich herausstellen, dass es ein Wiedersehen war. Irgendwie kamen wir auf Lugano zu sprechen. Wolfgang hat dort mehrmals an den Open teilgenommen. Ich einmal. Das war 1977 zusammen mit Horst-Peter Anhalt. In meinem Kommentar vom 28. Mai 2015 habe ich darüber berichtet. Ich habe mir inzwischen die Teilnehmerliste vom „2. Campionato open di Lugano im Palazzo dei Congressi“ angesehen. Wolfgang war dabei. Er war 6 Jahre jünger als ich. Der Abstand ist geblieben. Seitdem hat Wolfgang an zahlreichen Turnieren teilgenommen. Die 217 Auswertungen hinter seiner DWZ sind ein Beleg dafür.

Wolfgang ist Mitglied bei den Hellertaler Schachfreunden. Hellertal ist ein Vorort von Siegen. Beeindruckend ist seine Bilanz in der Hall of Fame. Zwischen 1973 und 2019 wurde er 12x Gemeindemeister und 5x Vereinsmeister. Wer so viel Schach spielt, kann schwermütig werden. Wolfgang ist der Gegenbeweis; jedenfalls hat er auf mich einen fröhlichen Eindruck gemacht.

Frohsinn ist das Stichwort. Am 17. Oktober 2015 meldete sich IM Detlef Heinbuch in unserem Blog und berichtete über gemeinsame Open mit Helmut Reefschläger, z.B. in Lugano, wo sie sich nach jeder Niederlage abends die „Kante“ gegeben haben. Der Schock folgte wenige Wochen nach Detlefs Blog-Eintrag. Helmut war gestorben.

Als ich 1977 mit Horst-Peter von Lugano im Zug nach Hannover zurückfuhr, kamen wir ins Philosophieren. Du fährst durch die Landschaft, durch Orte und Städte, siehst für einen Moment Menschen, die ihrem Tagwerk nachgehen und weißt genau, die wirst du nie wiedersehen. Ein gemeinsames Hobby knüpft Bande, die auch Jahrzehnte später nicht zerreißen. In Siegen habe ich solch ein Momentum erlebt.