Was der patzige Per zum krummen Sieg über Algerien sagte, passt nicht zum Selbstverständnis von uns Schachspielern. Wir lieben die Ästhetik. Und deshalb habe ich eine Schachaufgabe kreiert, die Vielfalt, Dramatik und Schönheit unserer Sportart vereint. Ich habe sie unter das Motto „Lattenkracher“ gestellt. Wenn der Ball (Schachfigur) an die Latte kracht, ist er noch so warm, dass er im Anschluss verschiedene Matts (Tore) aufs Brett zaubert. Das schnellste in 7 Zügen. Hier ist die Ausgangsstellung:
Weil’s so schön ist, bekommt ihr gleich drei Aufgaben mit jeweils anderen Schlüsselzügen gestellt. Die Länge assoziieren wir mit der Praxis bei Fußballturnieren:
Matt in 7 Zügen (reguläre Spielzeit)
Matt in 8 Zügen (Verlängerung)
Matt in 9 Zügen (Elfmeterschießen)
Ihr werdet überrascht sein, welche verblüffenden Wendungen in den jeweiligen Mattführungen stecken. – Und noch ein Wort zum Thema Frankreich. Seid nicht traurig, wenn’s am Freitag gegen die Franzosen eine Klatsche geben sollte. Am Samstag beginnt die große Schleife. Diesmal bei den Engländern in Leeds. Die sind schon ganz heiß drauf. Obwohl unsere Medien die Tour de France durch Nichtbeachtung verdammen, ist sie für mich und viele andere Sportfreunde interessanter als diese Fußballweltmeisterschaft. Auf EUROSPORT gibt’s in den nächsten drei Wochen rund 350 Stunden Radsport, davon über 90 Stunden live.
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Nach dem Einzug der Deutschen Fußballnationalmannschaft ins WM-Halbfinale darf ich euch heute, am 5. Juli 2014, die ganze Wahrheit um den Mythos „Lattenkracher“ offenbaren. Weitere Hinweise findet ihr in meinem Kommentar.
Matt in 7 Zügen
1.Dg6!! Solch einen Zug in einer Turnierpartie anzuwenden, ist der Traum jedes Schachspielers. Die Dame kann auf g6 von zwei Bauern und zwei Figuren geschlagen werden, aber das Matt kann Schwarz so oder so nicht abwenden. Die Idee besteht in der Mattdrohung auf g7. Wenn Schwarz versucht, dieses Matt mit 1…f6 abzuwenden, wird er noch schneller matt: 2.Lxd5+ Kh8 (2…Dxd5 3.exf8D#) 3.Sf5 Tf7 4.Dxh7# 1…Lxg6 Mit diesem Schlagen erhält sich Schwarz das längste Leben, nämlich 7 Züge lang. Andere Schlagweisen verkürzen es: [1…Dxg6 2.exf8D#] [1…hxg6 2.Sxg6 Lxg6 3.exf8D+ Dxf8 4.Tc8 Lh5 5.Txh5 Dxc8 6.bxc8D#] [1…fxg6 2.Lxd5+ Kh8 3.exf8D+ Dxf8 4.Sxf8 h5 (4…Le4 5.Shxg6+ Lxg6 6.Sxg6#) 5.Txc2 bxc2 6.Shxg6#] 2.exf8D+ Dxf8 3.Tc8 h6 [3…f6 4.Txf8# oder 3…Dxc8 4.bxc8D#] 4.Txf8+ [Genauso schnell geht 4.Sxf8 Lf5 5.Sfg6+ Lxc8 6.bxc8D+ Kh7 7.Dh8#] 4…Kh7 5.Sf6+ gxf6 6.Lxf6 f1D Zu spät, du rettest den König nicht mehr (frei nach Friedrich v. Schiller). 7.Th8# Diagramm
Matt in 8 Zügen
1.exf8D+ Dxf8 2.Sf6+! Wunderschön! Diagramm 2…gxf6 [2…Kg8 3.Sg6+ fxg6 4.Txh7#] 3.Tg3+ Sg4 [3…Dg7 4.Dxa6 Dxg3 5.Dxf6 Dxg2+ 6.Sxg2 h5 /.Dg7#] 4.Txg4 Dg7 [4…Kh8 5.Lxf6+ Dg7 6.Txg7 bxc1D 7.Tg6#]
5.Dxa6! Diagramm. Kurz und bündig. Aber auf diesen Zug muss man erstmal kommen. Dxg4 6.b8D+ Dc8 [6…Kg7 7.Dxf6#] 7.Dbxc8+ Kg7 8.Dxf6#
Matt in 9 Zügen
1.Dxh7+ Kxh7 Da lächelt der König mit arger List (Die Bürgschaft). [1…Lxh7 2.exf8D+ Dxf8 3.Tc8 Lf5 4.Sxf5 Dxc8 5.bxc8D#] 2.Sf5+ Diagramm. Der Dolch im Gewande. 2…Kg8 [2…Kg6 3.Sxd6 Th8 4.Sf8+ Kg5 5.e8D Txf8 6.Dxe3+ Kg6 7.Lh5+ Kh7 8.Lxf7#] 3.Sxd6 Te8 4.Sxe8 Sg4 [4…f1D 5.Sef6+ gxf6 6.e8D+ Kg7 7.Dh8+ Kg6 8.Dxf6#] 5.Sef6+ gxf6 6.e8D+ Kg7 7.Df8+ Kg6 8.Dg8+ Kf5 9.Dxg4# Ein Matt der Sorte „humorlos“.
Matt in 12 Zügen
1.Txc2 Te8 [1…f1D 2.exf8D+ Dxf8 3.Sf6+ gxf6 4.Tg3+ Sg4 5.Txg4+ Dg7 6.Tc8#] 2.Sf6+ Dxf6 3.Db5! Dxe7 4.Tc8 Tf8 5.Sf5 Dd8 6.Txd8 Txd8 7.Sh6+ Kh8 8.Sxf7+ Kg8 9.Sxd8 Sc7 10.Lxd5+ Kh8 11.b8T f1D 12.Sf7# Diagramm. Ein Matt wie aus dem Bilderbuch.
Remis wird’s, wenn Weiß 1.Tg3 spielt (ohne Diagramm)
1.Tg3 Sg4 2.Sf6+ Sxf6 3.Txg7+ Kxg7 4.Sf5+ Kg8 [4…Kh8? 5.Lxf6+ Dxf6 (5…Kg8 6.Sh6#) 6.exf8D#] 5.Sh6+ Kg7 6.Sf5+= Dauerschach
Seit 24 Stunden rätselt die Menschheit über den Schlüsselzug der Hauptvariante. Was viele ahnen, aber zu schreiben nicht wagen, erhaltet ihr von mir jetzt exklusiv geliefert:
1.Dg6!! Formidabel! Die Latte ist sinnbildlich die Bauernkette vor dem schwarzen König. Dass die Dame bei ihrer Berührung gleich viermal geschlagen werden kann, ficht sie nicht an. Morgen – wenn die Tränen nach dem Spiel gegen Frankreich getrocknet sind – erfahrt ihr die ganze Wahrheit. Wer mutig ist, kann sich vorher melden. Außer der Verlängerung (8 Züge) und dem Elfmeterschießen (9 Züge) gibt es übrigens noch ein Matt in 12 Zügen. Die weiße Dame ist dafür nicht der Auslöser.
Eure Freudentränen sind getrocknet. Nun kann ich euch die Lösungen meiner Schachaufgabe präsentieren, die ergiebiger ist als die Kondensmilch von Bärenmarke. Dementsprechend habe ich meinen Beitrag ergänzt. Doch zunächst erlaube ich mir ein paar Worte zum Fußball.
Der Sieg gegen Frankreich war nicht unverdient. Wenn die Franzosen mit 1:0 gewonnen hätten, wäre das ebenso verdient gewesen. So hat Jogi Löw alles richtig gemacht. Wäre Mats Hummels Kopfball 4 cm höher an die Latte gekracht, wäre der Ball zurück ins Feld gesprungen, und hätte der Schiedsrichter die Aktion wegen Foulspiels abgepfiffen, hätte Jogi Löw alles falsch gemacht. Hätte, hätte, Fahrradkette. So einfach ist die Sicht der Fußballweisen. Die Urteile fallen immer ergebnisorientiert aus. Geht’s gut, war’s Kaltschnäuzigkeit, geht’s daneben, war’s eine Fehlentscheidung des Trainers. – Das Schlimmste an dieser Partie war jedoch der entsetzliche Fernsehkommentar, mit dem uns die „Labertasche“ Steffen Simon traktiert hat.
Um Mitternacht gab es indessen eine Szene, dich mich gerührt hat. Nach dem glücklichen Sieg der Brasilianer gegen Kolumbien tröstete David Luiz (der Torschütze zum 2:0 für Brasilien) den Kolumbianer James Rodriguez (6-facher Torschütze dieser WM). James weinte bitterlich, nicht aus Freude, sondern aus verständlichem Frust. Dann taten beide das, was Fußballer häufig tun, wenn sie sich wohlgesonnen sind: sie tauschten die Trikots. Für einen Moment standen beide mit freiem Oberkörper da. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Beide haben eine Haut so rein wie die von Schneewittchen. Kein Tattoo weit und breit! Was um Himmels Willen bewegt die Fußballspieler kollektiv dazu, die Oberfläche ihres Körpers mit Tätowierungen ein Leben lang zu verschandeln? Diese Unsitte ist bei Fußballspielern offenbar weltweit verbreitet. Wenn’s ein dezentes Tattoo im Verborgenen wäre, ähnlich einem Brandzeichen beim Rind, hätte ich Verständnis dafür. Aber den Körper wahllos mit dämlichen Schriftzeichen zu bekleistern, ist für mich eine Torheit, die ich nur mit viel Toleranz ertragen kann.
Bei meiner heutigen Presseschau bin ich auf eine Kolumne in der WELT gestoßen. Die Autorin Hildegard Stausberg hat darin meine Beobachtungen über Tätowierungen bestätigt:
„Der absolute Höhepunkt dieser Tätowierungsorgie war die Fußballweltmeisterschaft: Da gab es Mannschaften, bei denen kein einziger Spieler mehr ohne Tattoo war, vor allem bei den Latinos. Aber auch in unserer Nationalelf gab es Kicker mit Tattoos, wenngleich deutlich weniger.“
Den ganzen Artikel könnt ihr hier lesen:
http://www.welt.de/debatte/kolumnen/die-strenge-stausberg/article130838852/Nichttaetowierte-sind-in-der-Minderheit-leider.html
Wir Schachspieler sind es gewohnt, das Wechselbad der Gefühle zwischen Sieg und Niederlage zu durchleben. Insofern können wir sowohl die Freude der Deutschen Fußballnationalmannschaft über ihren epochalen Sieg gegen Brasilien als auch die Trauer der Verlierer verstehen. Nun gibt es aber einen Unterschied zwischen denen, die einen Wettkampf austragen und denen die zugucken. Die Gefühlswelt der Aktiven ist unstrittig. Der Zuschauer ist indes entweder neutral, oder er fühlt sich der einen oder anderen Partei zugehörig. Wenn es um Nationalmannschaften geht, führt dies leicht zu einem Chauvinismus, den ich kategorisch ablehne. Chauvinismus ist zwar in jedem Menschen latent vorhanden und dann hilfreich, wenn er zu seinem individuellen Selbstwertgefühl beiträgt, gerät aber in ein zweifelhaftes Licht, wenn allein die öffentliche Meinung für sein Denken und Handeln ausschlaggebend ist.
Beispiel: Elisabeth Pähtz nimmt derzeit an der Schach-Europameisterschaft der Damen in Plovdiv teil. Mit 2,5 Punkten aus 3 Partien liegt sie gut im Rennen. Sollte sie Europameisterin werden, wird dann ein einziger deutscher Fan grölend oder hupend durch unsere Straßen ziehen? Oder stellen wir uns vor, die Deutsche Wasserballnationalmannschaft wird Weltmeister. Wen juckts? Ich will damit sagen, dass wir aufpassen müssen, ob unsere Gefühle aus uns selbst herauskommen, oder ob wir durch eine Massensuggestion fremdgesteuert sind.
Unsere Fußballnationalmannschaft hat sich gestern vorbildlich verhalten. Man kann es ihr nicht verdenken, dass sie so viele Tore geschossen hat. Sie war während und nach dem Spiel nicht überheblich. Vorbildlich war auch das, was der Mann ohne Muskeln (Thomas Müller) im Fernsehinterview nach dem Abpfiff sagte. Denn aus den Helden, die heute euphorisch gefeiert werden, können morgen die Versager werden, die von denselben Menschen niedergemacht werden, wenn es die öffentliche Meinung so will.