Gibt es unter Schachspielern eigentlich richtige Handwerker, oder rekrutieren wir uns hauptsächlich aus Sesselfurzern? Habe ich da ein „Ähhh!?“ gehört? Nur keine Bange, ihr müsst euch nicht rechtfertigen. Aber ein bisschen neidvoll auf diejenigen gucken, die den ganzen Tag im Freien ihre Muskeln spielen lassen, während wir uns in spießigen Räumen das Gehirn zermartern, muss erlaubt sein.
Einige Schachfreunde haben im vorletzten Jahr von mir einen Kalender mit Sylt-Motiven geschenkt bekommen. Selbst professionelle Kalender zu basteln, ist übers Internet heutzutage kein Problem. Man muss nur geeignete Fotos bei einem entsprechenden Anbieter hochladen. Ich habe das mit VISTAPRINT gemacht. Das Jahr 2014 habe ich einem Bauteil gewidmet, dessen Schönheit für den Betrachter nur für kurze Zeit sichtbar ist, weil es meist auf nimmer Wiedersehen verhüllt wird. Ich spreche vom Dachstuhl. Dachstühle werden von Zimmerleuten errichtet. Das sind die wohl beneidenswertesten Handwerker am Bau. Den Sparren zweimal abgeschnitten und noch immer zu kurz? Der Zimmermann weiß sich zu helfen. Reklamationen? Gibt’s so gut wie nie. Andere Bauhandwerker müssen sich fünf Jahre und länger mit Mängelrügen herumschlagen. Derweil sägt und richtet und schraubt und nagelt der Zimmermann einen Dachstuhl nach dem anderen.
Und weil die Handwerkskunst des zweitältesten Gewerbes der Welt leider so schnell verdeckt wird, dürft ihr exklusiv die Ästhetik derselben genießen. Es ist mir schwergefallen, mich auf zwölf Momentaufnahmen zu beschränken. Ich könnte ein Jahrzehnt damit füllen. Es sind lauter Dächer, die unter meiner Obhut in den letzten Jahren errichtet wurden. Das Foto, das ich unter „Guten Durchblick“ am Neujahrstag veröffentlicht habe, ist das Deckblatt zum Kalender. Hier folgen die Monate:
Schöne Bilder!
Aber nein, ich gucke nicht neidvoll auf die Leute, die bei jedem Mistwetter in den Balken hängen und sich die Knochen ruinieren. 😉 Allerdings mit viel Respekt.
Mein Vater war Zimmermann – er sagte mir, ich solle was Vernünftiges lernen. Ich bin dann in den Schachverein gegangen, aber da guckte er so komisch, dass ich mich bis heute frage, ob das wirklich das war, was er gemeint hat…
Schachvereine sind nicht das Ende der Evolution. Sie sind eine seltsame Mischung aus Tradition, Verklemmtheit und Selbstfindung. In irgendeinen Schachverein zu gehen, ist deshalb nicht vernünftig, wobei wir – von glücklichen Umständen abgesehen – erst dann die Wahl haben, wenn wir eine beachtliche Spielstärke erreicht haben. Viele Talente bleiben somit unentdeckt oder wenden sich frühzeitig ab, weil ihnen die Atmosphäre in Schachvereinen zu muffig ist. Aus diesem Grund sterben Männergesangvereine und Kegelklubs langsam aus. Schachvereine halten sich noch wegen der vielen alten Säcke über Wasser, die zu einer anderen Zeit großgeworden sind.
Einem Hobby kann man frönen, muss man aber nicht. Beim Broterwerb sieht es anders aus. Da haben Väter von jeher den Wunsch, dass es die Kinder einmal besser haben sollen. Darunter verstehen sie soziale Anerkennung und einen Job, bei dem man sich nicht die Hände schmutzig macht. Die tatsächlichen Fähigkeiten der Kinder sind dabei häufig nebensächlich. Ob den Kindern damit tatsächlich geholfen ist, bezweifele ich. Insofern sind Handwerksberufe besser als ihr Ruf.
Auf dem Bau hat der Zimmermann eine Sonderstellung, u.a. weil es sich überwiegend um Teamwork handelt, und die Aufgabe zeitlich begrenzt ist. Die Arbeit ist hart, aber durch moderne Geräte nicht überhart. Bei jedem Mistwetter wird draußen nicht gearbeitet, aber man lebt im Einklang mit der Natur. Am Ende eines Arbeitstages siehst du, was du gemacht hast. Welcher Bürohengst kann das schon von sich behaupten? Dennoch ist die Arbeit des Zimmermanns – wie die der meisten Bauberufe – ein Knochenjob. Diese Menschen erst mit 67 Jahren in Rente schicken zu wollen, ist deshalb eine Unverfrorenheit derer, die in ihrem Leben nie körperlich gearbeitet haben.