Meine Mini-Diskussion mit Torsten hat mich dazu angeregt, das Thema „alte Zöpfe“ aufzugreifen. – Zweck einer Schachorganisation ist es, das wettkampfmäßige Schachspielen zu organisieren und dabei zu fördern. Dafür bedarf es Strukturen. Diese Strukturen sind Mittel zum Zweck und dürfen sich nicht zum Selbstzweck entwickeln. Diese Struktur ist aber aus meiner Sicht – zumindest in Niedersachsen – aus dem Ruder gelaufen bzw. nicht mehr zeitgemäß. Ihr kennt sicher die Parkinsonschen Gesetze, wonach ein Bürokratiewachstum mit der wachsenden Tiefe hierarchischer Ordnungen einhergeht. Im Niedersächsischen Schachverband sieht die hierarchische Ordnung folgendermaßen aus:
Schachbezirk 1 Hannover / 39 Vereine / 1.394 Mitglieder
Schachkreis Region Hannover
Schachkreis Schaumburg
Schachbezirk 2 Braunschweig / 23 Vereine / 746 Mitglieder
Schachkreis Peine
Schachbezirk 3 Südniedersachsen / 24 Vereine / 724 Mitglieder
Schachkreise bzw. Unterbezirke: keine?
Schachbezirk 4 Lüneburg / 37 Vereine / 1072 Mitglieder
Schachkreis Unterlüß
Schachkreis Celle
Schachbezirk 5 Oldenburg-Ostfriesland / 29 Vereine / 875 Mitglieder
Unterbezirk Ammerland, Stadt Oldenburg, Wesermarsch
Unterbezirk Ostfriesland
Unterbezirk Südoldenburg
Unterbezirk Wilhelmshaven-Friesland
Schachbezirk 6 Osnabrück-Emsland / 26 Vereine / 917 Mitglieder
Schachkreis Grafschaft Bentheim
Schachkreis Emsland
Schachkreis Osnabrück-Land
Schachkreis Osnabrück-Stadt
Ob meine Auflistung hundertprozentig stimmt, kann ich nicht garantieren. Die Informationen der Bezirke im Internet sind von unterschiedlicher Qualität. Ob Bezirk, Unterbezirk oder Schachkreis, alle benötigen einen Vorstand, der aus bis zu 10 Personen besteht. Schaut man hinter die Kulissen, wird deutlich, dass viele Posten vakant und selbst die gewählten Vertreter häufig desinteressiert sind. Als Beispiel zitiere ich aus dem Protokoll vom 59. Kongress des Schachbezirks Oldenburg-Ostfriesland, der am 22. Juni 2014 stattfand:
„TOP 7 Berichte aus den Unterbezirken
Aus dem Unterbezirk (UB) Ammerland-Oldenburg(Stadt)-Wesermarsch ist kein Vorstandsmitglied anwesend. Der 2. Vorsitzende Hans-Werner Pump fehlt entschuldigt.
Nils Friedrichs berichtet als Vorsitzender aus dem UB Ostfriesland. Der Spielbetrieb fand ordnungsgemäß statt. Die Meldungen der Mannschaften sind rückläufig. Eventuell wird nächste Saison nur mit einer Liga gespielt.
UB-Turnierleiter Rainer Hellmann berichtet aus dem UB Südoldenburg. Es gibt 4 Mannschaften in der Kreisklasse und ein Schnellschachturnier am 3. Oktober. Ansonsten gibt es keinen Spielbetrieb.
UB-Turnierleiter Klaus Schumacher berichtet, dass der UB Wilhelmshaven-Friesland zusammen mit dem UB Ammerland-Oldenburg(Stadt)-Wesermarsch spielt und sich dies bewährt hat.“
Das klingt nicht gerade nach prallem Schachleben und führt unwillkürlich zu der Frage: „Wofür hat dieser Schachbezirk mit lediglich 875 Mitgliedern 4 Unterbezirke?“ Für diese Unterbezirke müssen folgende Vorstandsposten vorgehalten werden:
http://schachbezirk-oldenburg-ostfriesland.de/unterbezirke
Nun beklagt bei demselben Kongress der als Gast eingeladene NSV-Präsident Michael S. Langer, dass es immer schwieriger werde, Funktionen durch Ehrenamtliche zu besetzen. Ist das angesichts der fragwürdigen Ämterflut ein Wunder?
Anderes Beispiel: Der Schachkreis Peine hatte am 17.01.2015 zur Kreisversammlung eingeladen. Gekommen waren 8 Personen, 7 davon haben sich gegenseitig selbst gewählt, die achte Person war Michael S. Langer.
Am 30.05.2015 findet die Versammlung unseres Schachbezirks statt. Im vergangenen Jahr waren von 39 Vereinen lediglich 17 gekommen. Die Mehrheit der Vereine (22) hielt es offenbar nicht für notwendig zu kommen. Vielleicht zu recht!?
Es ist überhaupt nicht meine Absicht, diejenigen verächtlich zu machen, die sich innerhalb dieser Ordnung engagieren. Ich weiß, dass Schachfunktionäre äußerst sensibel sind und jeden Verbesserungsvorschlag misstrauisch bewerten. Ein Fettnäpfchen trifft man garantiert. Gleichwohl darf bzw. muss die Sinnfrage gestellt werden. Es ist ja nicht mit den Vorstandsposten in den Bezirken, Unterbezirken und Kreisen getan, dazu kommen die Posten bei den Senioren, bei den Jugendlichen und letztlich in den Vereinen. Dabei wollen wir doch eigentlich nur Schachspielen!
Wir können nicht auf Knopfdruck schwindende Mitgliederzahlen und schwindendes Interesse an bestimmten Turnieren beseitigen. Aber wir können den Trend umkehren, indem wir unsere Strukturen reformieren. Das wäre ein Baustein für eine bessere Zukunft. Bezogen auf den Niedersächsischen Schachverband besteht mein Vorschlag darin, in den Bezirken sämtliche Unterorganisationen abzuschaffen. Bezüglich der Region Hannover habe ich mich bereits an anderer Stelle positioniert: https://www.schachfreunde-hannover.de/schachregion-hannover-das-unbekannte-wesen/ Inwieweit die Bezirke selbst neu sortiert werden sollten, vermag ich nicht zu beurteilen.
Unser NSV-Präsident Michael S. Langer hat bekanntlich auf Bundesebene das Handtuch geworfen. Ich habe eine gute Meinung von ihm gewonnen und würde ihm zutrauen, dass er die Strukturreformen in Niedersachsen anpackt. Solche einschneidenden Änderungen haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn der oberste Chef dahintersteht. „Aller Guten Dinge sind Drei!“, ist die aktuelle, positive Botschaft auf der NSV-Seite. Ein Ding besteht darin, dass Michael S. Langer ab sofort den Großteil seiner freigesetzten Kapazitäten dem Niedersächsischen Schach widmen wird. Ich würde mich freuen, wenn er meine Anregungen aufgreift.
Dass früher nicht alles besser war, möchte ich euch anhand eines Briefes zeigen, den mir der allseits geschätzte und leider viel zu früh verstorbene Gerhard Willeke im November 1988 geschrieben hat, als ich Vereinsvorsitzender war. Reibungsverluste, mangelnde Resonanz und lahme Arbeit in Schachorganisationen sind also nichts Neues.