Im Frühjahr 2017 hatte ich schlaflose Nächte. Was war passiert? In meinem Beitrag über Boris Spasski hatte ich die Stadt Siegen ins Sauerland verlegt! Das war ein unglaublicher Patzer. Zum Glück hat mich ein Siegerländer auf den Fehler aufmerksam gemacht.
Wir wissen: „Im Sauerland sind die Wälder düster und verwunschen, die Täler nass und tief, die Straßen im Winter unpassierbar“ (Die Zeit). Und die Menschen? Männer tragen blaue Maßanzüge. Beispiel:
Heuer ist die Zeit zur Wiedergutmachung. Siegen im Siegerland. Nomen est omen. Vor 52 Jahren war ich dort. Danach nie wieder. Das Siegerland passt viermal ins Saarland. Das musst du als Niedersachse auf der Landkarte erstmal finden. Dank ChessBase, Google-Maps und der Deutschen Bahn bin ich dort gestern angekommen und nach einem gelungenen Aufenthalt wieder abgereist. Die Bahnfahrt von Hamm nach Siegen ist etwas für Romantiker. Wunderschön! Wenn der IC südlich von Schwerte im Bummelbahntempo durch die Täler tuckert, fühlst du dich in eine Modellbahnanlage versetzt. Mancherorts kleben die Häuser wie Schwalbennester an den steilen Berghängen. Dass die Strecke auch durchs schöne Sauerland führt, sei lobend erwähnt.
Noch ein Wort zum Saarland. Im Sommer dieses Jahres habe ich dieses Bundesland erstmals in meinem Leben betreten. Ich war begeistert von Land und Leuten. In Saarbrücken nervt allerdings die Stadtautobahn. Ein Relikt aus Zeiten als man am Schachbrett noch rauchen durfte.
Die Ausstellung über die XIX. Schacholympiade 1970 hat mich nach Siegen gelockt: Wenn man so will ein bisschen persönliche Erinnerungskultur. Eine vereinsübergreifende Delegation aus Hannover hatte sich 1970 an dem Tag auf den Weg nach Siegen gemacht, als Boris Spasski gegen Robert Fischer spielte. Wir waren jung und wissbegierig und deshalb nah dran an den Brettern. Einer von uns konnte sogar ein Autogramm von Bobby Fischer ergattern. Gleichwohl ist das meine einzige, konkrete Erinnerung. Insofern tat die Auffrischung gut. Und von Siegen habe ich diesmal eine Menge sehen können. Die Stadt hat Charme und bietet Raum für
Leidenschaften. Das verspricht der neueste Imagefilm, der sich besonders an Studenten richtet. Peter Paul Rubens und Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg haben in Siegen ihre Wurzeln: Malerei und Pädagogik auf höchstem Niveau. Das spornt an!
Die Ausstellung über die Schacholympiade 1970 sollte eigentlich vor zwei Jahren zum fünfzigsten Jubiläum stattfinden. Pandemiebedingt wurde sie auf dieses Jahr verschoben. Zwei Schachfreunde haben großen Anteil am Zustandekommen: Wolfgang Petri (links) und Heinz-Roland Send (rechts). Schachfreund Send (Jahrgang 1952) gehörte bereits vor 52 Jahren zu den zahlreichen Helfern. Er war einer von denen, die an den Brettern die Partienotationen mitschrieben.
Beide haben mich herzlich empfangen und fachkundig durch die Ausstellung begleitet. Es gibt zwei sehenswerte Filme und viele Originaldokumente. Zum Beispiel ein Autogramm von Bobby Fischer:
Bemerkenswert ist auch die Weltkarte. Es fällt auf, dass China noch nicht zu den Schachnationen gehörte. Am besten guckt ihr euch die Ausstellung im KrönchenCenter selbst an. Bis Samstag, den 29. Oktober, habt ihr noch die Gelegenheit. Übrigens hat Heinz-Roland Send ein Schach-Lotto ausgelobt, das er zusammen mit dem Schachfreund Hans-Dieter Wunderlich komponiert hat. Es geht um die Frage, ob 30 Positionen aus der Anfangsstellung einer Schachpartie erreichbar sind oder nicht. Ganz schön knifflig. Samstagmittag gibt’s die Auflösung. – Diese Idee beruht auf einem Preisrätsel aus dem Jahr 1970. Eine Sammlung von 100 Schachproblemen auf realen Brettern hatte die Siegener Geschäftswelt in den Schaufenstern ausgestellt. Der 1. Preis war ein VW-Käfer.
Wer sich für die Ergebnisse der XIX. Schacholympiade interessiert, kann sich z.B. auf Wikipedia informieren. Auf der Website des Schachclubs Hilchenbach (liegt in der Nachbarschaft) findet ihr auch einen lesenswerten Beitrag.
Fotos und Erinnerungsstücke aus der Vergangenheit, die lange zurückliegt, machen nachdenklich. Der Vergleich zwischen früher und heute drängt sich auf. Früher war auch in der Schachwelt nicht alles besser. Beileibe nicht. Aber sie entfernt sich mehr und mehr von ihrem Motto: „Wir sind eine Familie“. Das Schachspiel hat seine Unschuld verloren. Die Ursachen sind vielfältig. Einst wurden die Schachgrößen mit Ehrfurcht betrachtet. Derzeit überwiegt das Misstrauen. Und der Spott! Der Auftritt von Elisabeth Paehtz in der NDR-Talkrunde am vergangenen Freitag ist ein Beleg dafür. Demnächst ist vor jeder Turnierpartie eine Darmspiegelung fällig inkl. Video-Analyse im „Kölner Keller“. „Wolle mer se reinlasse?“ „Nö!“
Ausflüge in die Vergangenheit sind Balsam für die Schachspielerseele. Mein herzliches Dankeschön geht an die Siegerländer Schachfreunde von damals und an die Protagonisten von heute:
Warnhinweis
Mein Beitrag über Siegen kann Spuren von Satire enthalten. Stammleser wissen das, Leser des Schachtickers womöglich nicht. In punkto Satire hatte sich das Apollo-Theater in Siegen zu meiner Begrüßung etwas ausgedacht. Guckt ihr auf das Werbebanner unten links.
Hier siehst du nichts
En passant ist mir in Siegen eine ungewöhnliche Location aufgefallen: das Dunkelcafé. Es lohnt sich, dessen Webseite anzusehen und die Geschichte zu verstehen, die dahintersteckt. Es gibt kein besseres „Blind Date“ im Umkreis von 100 km, heißt es selbstironisch. Von Blindschach ist nicht die Rede, aber das kann ja noch werden.
Wenn ihr euch das Foto anschaut, wird euch noch etwas anderes auffallen: die Neigung der Straße! Offensichtlich wurde in Siegen die schiefe Ebene erfunden. Es handelt sich um die Kölner Straße, die von der Sieg bis zum Marktplatz führt, wo sich das KrönchenCenter befindet. Links und rechts gibt es Geschäfte. Wer auf einen Rollator angewiesen ist, braucht gute Bremsen, sonst besteht die Gefahr, mit Karacho in der Sieg zu landen.
Hallo Gerhard,
wir haben uns anlässlich der Jubiläumsausstellung zur XIX. Schacholympiade Siegen im KrönchenCenter getroffen. Du hast Dir neben den Exponaten der Ausstellung auch den Film
„XIX. Schacholympiade 1970 in Siegen – Erinnerungen nach 50 Jahren“ angeschaut.
Inzwischen ist der Film auf youtube verfügbar.
Viel Vergnügen mit der Bitte, für eine möglichst große Verbreitung zu sorgen!
Herzliche Schachgrüße
Heinz-Roland
Schachbezirk Siegerland
Lieber Heinz-Roland,
obwohl es die Schachfreunde Hannover e.V. mittlerweile nicht mehr gibt, möchte ich zur Verbreitung des wunderbaren Films beitragen. Unser Blog wird demnächst eingefroren, aber für die Menschheit auf unbestimmte Zeit abrufbar bleiben.
Allen Schachfreund*innen sei empfohlen, sich diesen Film anzuschauen. Das sind 20:45 Minuten, die die Schachspielerseele – sofern vorhanden – berühren. Es gibt zwei Möglichkeiten, den Film aufzurufen: Entweder direkt über Youtube oder über die Webseite Unser Siegen. Übrigens ist Heinz-Roland der Sprecher im Film. Es ist eine Freude, ihm zuzuhören.
Herzliche Grüße ins Siegerland
Gerhard
Willingen
Siegen liegt im Siegerland statt im Sauerland. Diese Wissenslücke konnte ich inzwischen beheben. Aber wusstet ihr, dass Willingen zum Sauerland gehört, obwohl es in Hessen liegt? Morgen beginnen dort die drei tollen Tage für Skispringer. Die ARD überträgt ab 15:55 Uhr den Mixed-Wettbewerb. In der vergangenen Woche war ich als Vorspringer dort. Meine Weite hielt sich in Grenzen. Es war zu neblig.
Saarbrücken
Vor einem Jahr habe ich euch meine Begeisterung über Saarbrücken geschildert (abgesehen von der Stadtautobahn). Heute gibt es einen Mega-Grund, sich mit den Einheimischen zu freuen. Im Schlosshof hat das Kulturradio SR2 bereits eine Bühne aufgebaut. Die Party kann beginnen!
Siegen auf einen Streich
Oder umgekehrt. Aus 52 Jahren sind 54 geworden. Und nicht nur das. Siegen wird heuer 800 Jahre alt! Das entspricht meinem gefühlten Alter. Grund genug, ein Schachturnier der Extraklasse zu veranstalten. Am 10. November könnt ihr gegen Elisabeth Paehtz oder Dinara Wagner spielen. Die beiden simultan, versteht sich. Vorausgesetzt ihr qualifiziert euch einen Tag zuvor in einem Turnier mit 150 Teilnehmern. Von den 40 Besten spielen dann je 20 gegen die eine oder andere. Wow! „The Big Greek“ kommentiert das Spektakel, das ihr live auf seinem Twitch-Kanal verfolgen könnt. Das ist allemal spannender als endlose Fußballübertragungen im Fernsehkanaldickicht.
Keine Niederlage in Siegen
Elisabeth hat dreimal Remis gespielt, Dinara fünfmal. Die anderen Partien gegen die je 20 Gegner konnten die beiden gewinnen (wenn ich mich nicht verguckt habe). Die Partien sind jetzt abrufbar. – Am vergangenen Sonntag habe ich mir das Spektakel hin und wieder im Twitch von The Big Greek angeguckt. Was soll ich dazu sagen? Okay. Die Veranstaltung wirkte ein wenig hölzern. Der Funke einer „Extraklasse“ wollte nicht überspringen. Vielleicht lag es auch daran, dass praktisch kein Publikum anwesend war. Der Eintritt für Erwachsene sollte 10 € und für Jugendliche 5 € kosten. Aus der Ferne betrachtet war das keine gute Idee, um Schach populär zu machen. „Eintritt frei an allen Tagen“ heißt es indes beim Jubiläumsturnier des NSV (100 Jahre) in Wolfsburg vom 16.-21. November.
Unvergessliches Schachturnier
Der Siegener Schachverein von 1878 hat mittlerweile einen Abschlussbericht veröffentlicht. Darin sehe ich meine Vermutung bestätigt. Die großen Erwartungen wurden nicht erfüllt. Statt der erhofften 150 Teilnehmer am Qualifikationsturnier kamen lediglich rund 60, womöglich nur 52 (gemäß Abschlusstabelle). Das kann nicht ohne Frust bleiben: fehlende Einnahmen, großer Aufwand für die Beschaffung von nicht benötigtem Spielmaterial und mangelnde Resonanz in der Öffentlichkeit.
Nichtsdestotrotz blickt der Veranstalter auf ein erfolgreiches Turnier zurück. Das möchte ich keinesfalls schlechtreden; gleichwohl habe ich als Unbeteiligter eine andere Sichtweise und kann mich durchaus in die Lage des Orga-Teams hineinversetzen, das sich ein halbes Jahr mit den Vorbereitungen beschäftigt hatte. Nach eigenen Worten hat der Siegener Schachverein die eine oder andere Erfahrung sammeln können und sei damit gut gewappnet für das 150-jährige Vereinsjubiläum, das 2028 ansteht.
Mein Tipp: Simultanveranstaltungen haben längst nicht mehr die Zugkraft früherer Zeiten. Das gilt auch für Frauen. Sie gehören inzwischen zum Alltag. Und das ist gut so.