Diese Nachricht erschüttert die Sportwelt: „Ehemaliger Radprofi nach Insektenstich gestorben.“ Radrennfahrer sind vielen Gefahren ausgesetzt, dass aber ausgerechnet ein winziges Insekt einen durchtrainierten Menschen umhauen kann, ist an Tragik kaum zu überbieten. Andreas Kappes ist nur 52 Jahre alt geworden. Ich hatte die Ehre, ihn kennenzulernen.
Um die Jahrtausendwende habe ich auf Mallorca zweimal an einem Trainingslager teilgenommen, bei dem Andreas meine Gruppe leitete. Das hat richtig Spaß gemacht. Wir waren die sogenannten „Speed-Fahrer“. Andreas verstand es, Tempo, Härte und Länge der Touren richtig zu dosieren. Unvergessen ist eine Tour, auf der es infernalisch regnete. Als wir losfuhren, war es trocken. In Selva setzte der Regen ein. Wir suchten Schutz in einer typisch spanischen Schankstube. Der Regen hörte nicht auf. Nach zwei Stunden entschlossen wir uns, trotz strömenden Regens aufzubrechen. Selva liegt am Fuß des Tramuntana-Gebirges. Bis zu unserem Hotel in Playa de Muro mussten wir rund 25 Kilometer zurücklegen. Wir nahmen die kürzeste Strecke; das ist die Schnellstraße zwischen Alcudia und Palma, die eigentlich für Radfahrer gesperrt ist. Andreas fuhr mit hohem Tempo voran. Ich an seinem Hinterrad. Hinter mir der Rest der Gruppe. Auf einer Strecke von rund 500 m war die Straße total überflutet. Wir mittendurch. Wir sind heil angekommen. Dank Andreas.
Andreas Kappes steht links neben mir.
Gestern war ich bei der Nacht von Hannover. Dort habe ich viele Weggefährten aus dem Radsport getroffen. Morgen findet die Nacht von Neuss statt. Andreas Kappes hat sie organisiert. Sie wird ohne ihn stattfinden. Die Erinnerungen bleiben.
Auf meiner Rückfahrt von Sylt saß ich am Freitagnachmittag mit einer dreiköpfigen Familie in einem Abteil der Deutschen Bahn: die Eltern Mitte Dreißig, der Junge wird am Dienstag eingeschult. Anfangs hielt ich den Jungen für ein Mädchen. Er sah aus wie der kleine Lord aus dem gleichnamigen Film. Die Haare blond und glatt, vorn zu einem Pony geschnitten. Die Mutter hätte die jüngere Schwester von Heike Makatsch sein können. Es gelang ihr, den Jungen während der zermürbenden Bahnfahrt ständig zu beschäftigen, sodass dieser nur selten quengelte. Der Mann war schlaksig, braun gebrannt, die Oberarme tätowiert, Glatze, Vollbart. Den Gesprächen entnahm ich, dass er in der Musikbranche tätig ist. Die Drei waren rundum sympathisch.
Plötzlich klingelte das Handy des jungen Mannes. Seine ersten Worte waren von Entsetzen geprägt. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Ein Freund hatte ihn über einen schrecklichen Unfall informiert. Ein guter Bekannter war wenige Stunden zuvor bei einem Verkehrsunfall in Frankfurt tödlich verletzt worden. Der 60-Jährige war mit dem Fahrrad unterwegs. Er fuhr auf dem Bürgersteig. Als er Personen ausweichen musste, geriet er auf die Fahrbahn. Dort wurde er vom Anhänger eines Sattelzuges überrollt.
Wir wissen nicht, wann Schluss ist. Weder Andreas Kappes noch der 60-Jährige Frankfurter haben es geahnt. Trotz aller Vorsicht können Ereignisse eintreten, die uns von jetzt auf gleich den Stecker ziehen. Ein Leben danach gibt es nicht. Macht das Beste aus eurer Zeit, solange ihr dazu in der Lage seid.
Über den Unfall gibt es u.a. diese Nachricht in der Hessenschau:
https://www.hessenschau.de/panorama/radfahrer-von-lkw-in-frankfurt-ueberrollt,unfall-radfahrer-frankfurt-100.html
Die traurigen Nachrichten reißen nicht ab. Wieder hat es einen Radfahrer erwischt. Diesmal einen, der zugleich ein starker Schachspieler war: IM Lorenz Maximilian Drabke (Jahrgang 1984). Er spielte zuletzt in der 2. Bundesliga für die OSG Baden-Baden.
Auf ChessBase gibt es diesen Nachruf: https://de.chessbase.com/post/trauer-um-lorenz-drabke
Und wieder ist es ein Fall für die Hessenschau.