Zu Pfingsten vor einem Jahr erntete Dennie Wiener Lorbeeren. Vor 40 Jahren stand ich vor dem Wiener Riesenrad im Prater und fror. Meine gelbe Jacke war zu dünn. Ich hatte mit meiner Frau einen Ausflug nach Wien gemacht. Ansonsten befanden wir uns in Baden anlässlich eines Schachfestivals der Extraklasse. Baden sei eine Schachstadt mit Tradition, steht im Programmheft von 1980. Dr. Dr. W. Dorazil begann seine Hommage mit folgenden Worten:
Baden ist nicht nur eine Stadt in einer lieblichen Landschaft mit vielen Wäldern und ihren klimatischen Vorzügen, ein Kurort, der durch seine Thermalbäder als solcher in der ganzen Welt ob seiner spezifischen Heilkräfte beliebt und geschätzt ist, ein Weinort, dem großes Interesse entgegengebracht wird und schließlich – last not least – eine Theaterstadt, die besonders durch ihre Freilichtaufführungen im Sommer kulturell wertvolle Arbeit leistet, nein, sie ist auch eine Schachstadt par excellence!
Das Schachfestival bestand aus drei Turnieren: einem Großmeisterturnier, einem Meisterturnier und einem Offenen Turnier. Das GM-Turnier gewann Boris Spasski punktgleich mit Alexander Beljawski. Wer darüber hinaus teilnahm, könnt ihr über 365chess nachvollziehen und sämtliche Partien nachspielen. Ich spielte mit mittelmäßigem Erfolg im Open. Meine beste Partie war das Remis gegen Österreichs Schachlegende IM Dr. Andreas Dückstein. Den Partieverlauf habe ich euch bereits 2013 gezeigt. Bemerkenswert war die Teilnahme von Josef Klinger (Jahrgang 1967). Josef, Spitzname Pepi, war Österreichs größtes Schachtalent der Achtzigerjahre. Zehn Jahre später beendete er seine Schachkarriere und wurde Poker-Profi. Das brachte ihm eine Gewinnsumme von über 1,7 Mio $ ein. Dafür musst du als Schachspieler lange stricken. Als schmächtiges Kerlchen von 13 Jahren war er inmitten von gestandenen Schachspielern ein Hingucker. Heutzutage gehören spielstarke Kinder in Schachturnieren zum Alltag.
Einen Nachruf hat der Veranstalter verdient: TUNGSRAM AUSTRIA Aktiengesellschaft. Seit ihrem Gründungsjahr 1891 sei sie nicht nur die älteste Glühlampenfabrik Österreichs, sondern eine der ältesten der Welt. Pro Tag werden 100.000 Glühlampen mit hohem Standard von 400 Mitarbeitern gefertigt. Das Unternehmen dürfe im geschäftlichen Verkehr das österreichische Staatswappen führen. Diese besondere Auszeichnung werde nur hochqualifizierten Betrieben verliehen. Das und noch viel mehr steht im Programmheft. – Zehn Jahre später gingen für immer die Lichter aus.
Im Programmheft hatte auch der Humor seinen Platz. Diesen Witz kennen wir alle:
„Meine Frau hat gesagt, sie lässt sich scheiden, wenn ich nicht endgültig das Schachspielen aufgebe!“ „Das ist ja scheußlich!“ „Ja, freilich, ich werde meine Frau wirklich sehr vermissen!“
Meine Frau muss ich bis heute nicht vermissen. Als wir gemeinsam in Baden waren, lag unsere Eheschließung gerade 10 Monate zurück. Was lehrt uns das? Auf die richtige Dosis kommt es an. Und auf die richtige Frau!
Wenn es das Corona-Virus zulässt, startet am Samstag das Tegernsee-Masters mit zehn geladenen Großmeistern und Spitzenspielern. Von denen sind 4 nicht einmal 20 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt liegt bei 24,3 Jahren. Mit 44 Jahren ist GM Liviu Dieter Nisipeanu mit Abstand der älteste. Wie sah das vor 40 Jahren aus? Dazu habe ich mir die 16 Teilnehmer vom Großmeisterturnier in Baden genauer angesehen. In der Reihenfolge ihres damaligen Alters ergibt sich folgende Tabelle. In Klammern deren Platzierung im Turnier:
57 Jahre GM Svetozar Gligoric (13.) Jahrgang 1923, Jugoslawien
52 Jahre GM Robert Byrne (5.) Jahrgang 1928, USA
43 Jahre GM Boris Spasski (1.) Jahrgang 1937, UdSSR
43 Jahre GM Vladimir Liberzon (7.) Jahrgang 1937, Israel
40 Jahre Karl Janetschek (16.) Jahrgang 1940, Österreich
36 Jahre GM Florin Gheorghiu (9.) Jahrgang 1944, Rumänien
34 Jahre GM Jan Smejkal (6.) Jahrgang 1946, CSSR
34 Jahre Franz Hölzl (15.) Jahrgang 1946, Österreich
30 Jahre GM Andras Adorjan (10.) Jahrgang 1950, Ungarn
29 Jahre GM Raphael Waganjan (4.) Jahrgang 1951, UdSSR
27 Jahre GM Michael Stean (12.) Jahrgang 1953, England
26 Jahre GM Alexander Beljawski (2.) Jahrgang 1953, UdSSR
25 Jahre GM Tony Miles (11.) Jahrgang 1955, England
25 Jahre GM John Nunn (3.) Jahrgang 1955, England
21 Jahre IM John van der Wiel (14.) Jahrgang 1959, Niederlande
20 Jahre IM Yasser Seirawan (8.) Jahrgang 1960, USA
Der Altersdurchschnitt betrug 33,9 Jahre. Der Trend ist eindeutig: die Jugend wird immer stärker, wodurch die Älteren ein Problem haben. Sie werden eher aussortiert. Für Jungspunde heißt das: Augen auf bei der Berufswahl!
Übrigens ist mir noch etwas aufgefallen: 10 der 16 Teilnehmer sind im März (4x) und April (6x) geboren. Die restlichen 6 verteilen sich auf je einen Monat. Mai, Juni, Juli und November sind nicht dabei. Die Astrologen unter euch dürfen sich ihre Gedanken machen. – Für den Sieger gab es 80.000 Österreichische Schilling. Umgerechnet sind das ca. 5.800 Euro. Am Tegernsee erhält der Sieger 2.500 Euro.
Wikipedia
Wisst ihr, wer Lys Assia war? Nein!? Guckt ihr Wikipedia. Als ich richtig jung war, sang sie die deutsche Version eines Schlagers, der mit dem Oscar ausgezeichnet wurde: „Que Sera, Sera“ (Whatever Will Be, Will Be). Der Refrain beginnt mit folgender Frage: „Was kann schöner sein, viel schöner als Ruhm und Geld?“
Womit ich beim Thema bin: Ruhm. Ein Indikator dafür ist die Abrufstatistik auf Wikipedia. Lys Assia starb am 24. März 2018. Sie wurde 94 Jahre alt. Im Schnitt wollen sich täglich 79 Internetnutzer auf Wikipedia über sie informieren. Ihr Ruhm ist noch nicht ganz verblasst. Wie sieht es derweil mit dem Ruhm von Schachspielern aus, die vor 40 Jahren im Rampenlicht standen? Dazu habe ich mir die Seiten derer auf Wikipedia angesehen, die am Großmeisterturnier in 1980 in Baden teilgenommen haben. Bis auf die beiden Österreicher gibt es über jeden eine spezielle Seite. Richtig aktiv ist keiner mehr von denen. Einige sind verstorben. Mit Abstand am häufigsten wird die Seite von Ex-Weltmeister Boris Spasski aufgesucht. Kein Wunder, an sein legendäres Match gegen Bobby Fischer erinnern sich selbst Laien. Am Ende der Tabelle ist das Interesse gleich Null:
76 Ø Boris Spasski
9 Ø Yasser Seirawan
6 Ø John Nunn
5 Ø Svetozar Gligoric, Tony Miles
2 Ø Robert Byrne, Andras Adorjan, Raphael Waganjan, Alexander Beljawski
1 Ø Florin Gheorghiu, Jan Smejkal, John van der Wiel
0 Ø Vladimir Liberzon, Michael Stean
Zum Vergleich habe ich mir die Abrufstatistik ausgesuchter Schachspieler und einer Schachspielerin angesehen. Der tägliche Durchschnitt stellt sich wie folgt dar:
830 Ø Magnus Carlsen
482 Ø Robert Fischer
85 Ø Viswanathan Anand
81 Ø Fabiano Caruana
80 Ø Elisabeth Pähtz
73 Ø Vincent Keymer
47 Ø Lewon Aronian
30 Ø Dr. Robert Hübner
25 Ø Matthias Blübaum
19 Ø Dr. Helmut Pfleger
11 Ø Wolfgang Unzicker
01 Ø Dr. Helmut Reefschläger
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass einer unserer Blog-Stammgäste zu den Autoren von Wikipedia gehört. Seine ehrenamtliche Arbeit ist für die Schachszene ein Gewinn.
Fatalerweise belebt der Tod eines Menschen die Statistik. Am 25. Oktober 2020 interessierten sich 341 Internetnutzer für den SPD-Politiker Thomas Oppermann. Einen Tag später schnellte die Besucherzahl auf sage und schreibe 581.657.